Sylvain Prudhomme: Ein Lied für Dulce

 

Super Mama Djombo waren in den 1970er Jahren Stars und ihr Song „Dissan na mbera“ eine Hymne. Ihre Heimat ist Guinea-Bissau in Westafrika. Das kleine Land war nach einem Guerillakrieg gegen die portugiesischen Kolonialherren 1974 unabhängig geworden. Und Super Mama Djombo, die da unter anderem von ihren revolutionären Idealen sangen, trafen mit ihrer Musik einen Nerv – und das nicht nur in Guinea-Bissau.

Verdammt, ihnen hatten ganze Stadien zu Füßen gelegen. Von Maputo bis Stockholm hatte man auf ihre Stücke getanzt, sich um ihre Schallplatten gerissen, ihre Hits im Radio rauf- und runtergespielt.

Das sagt Couto, fiktiver Gitarrist der Band und Protagonist in Sylvain Prudhommes Roman „Ein Lied für Dulce“, in dem die Band Super Mama Djombo und ihre Musik einen prominenten Platz einnehmen. Wie es dazu kam, erzählte der weltreisende Franzose Sylvain Prudhomme im Interview.

Ich habe zwei Jahre lang im Süden Senegals nahe der Grenze zu Guinea-Bissau gearbeitet. Damals habe ich die Band Super Mama Djombo für mich entdeckt und praktisch jeden Tag ihre Musik gehört. Sie wurde mein musikalischer Fetisch. Das ist eine Musik, die nach der Unabhängigkeit Guinea-Bissaus von der Zeit der großen afrikanischen Hoffnung erzählt. Und das ist ja nicht nur die Geschichte eines Landes, sondern eines ganzen Kontinents. Doch diese Musik hat mich auch durch ihre melancholische Schönheit berührt. Sie ist ja vom portugiesischen Fado beeinflusst. Es ist Freude darin, aber auch Schwere und Trauer. Zudem haben mich die Lebenswege dieser Musiker, die ich näher kennengelernt habe, sehr beschäftigt. Die waren ja nach der Unabhängigkeit sehr bekannt. Das waren Helden. Manche sind es immer noch und leben einigermaßen gut, andere leben unter sehr schwierigen Verhältnissen. Und dieses Auf und Ab eines Lebensweges, das betrifft uns ja alle, und auch deshalb habe ich mich mit dieser Band beschäftigt.

Dabei geht es längst nicht nur um Musik. Der Roman spielt vor einem realen Hintergrund: Im April 2012 stand die zweite Runde der Präsidentschaftswahl an. Im Rennen war ein in der ersten Runde demokratisch gewählter Außenseiter, von dem niemand annahm, dass er die Wahl überleben würde. Das Militär hielt zunächst still, putschte dann aber doch vier Tage vor dem zweiten Wahlgang.

Für genau diesen Tag planen die alten Recken der wiedervereinigten Band Super Mama Djombo in Prudhommes Roman ein Konzert. Doch der Termin wackelt – und zwar nicht nur wegen des erwartbaren Staatsstreichs. Am Morgen erfährt der knapp 60-jährige Gitarrist Couto, dass seine ehemalige Freundin und Weggefährtin Dulce, langjährige Sängerin der Band, gestorben ist. Dulce prägte den Sound der Band.

Sie war zu einer Probe gekommen, und von einem Tag auf den anderen war es gewesen, als hebe ihrer aller Musik ab, als schwinge sie sich empor, als habe sie sich von aller Anstrengung und Mühsal befreit.

Dulce und Couto hatten eine kurze Beziehung, bevor sich die – übrigens von Sylvain Prudhomme für seinen Roman erfundene – Sängerin entschloss, Osvaldo Chico Gomes zu heiraten, den späteren Generalstabschef der Armee, der nun auch den Putsch verantwortet. Damit traf sie in jungen Jahren eine ganz pragmatische Entscheidung für ein sorgenfreies Leben in Wohlstand.

Die Nachricht von ihrem Tod trifft Couto wie ein Schlag. Halb benommen schlendert er durch die brütend heißen Straßen Bissaus, trifft alte Weggefährten. Und an jeder Ecke begegnen ihm Erinnerungen an Dulce.

Sehr harmonisch greift das alles ineinander, vermengt Prudhomme mit einer einfachen Erzählstruktur Liebes- und Gesellschaftsgeschichte. So kann er von einem Leben in unsicheren, politischen Verhältnissen, von schwierigen, eng mit der Kolonialgeschichte Bissaus verknüpften Lebenswegen, von verblassenden Idealen und auch davon erzählen, welche Rolle Musik bei all dem spielen kann. Super Mama Djombo sangen von einer freien Gesellschaft – und zwar in Kreol, einer lebendigen Sprache mit vielen Neologismen, dazu Lehnwörtern aus den verschiedenen Landesidiomen und aus dem Portugiesischen. Dazu Prudhomme:

Kreol ist die Volkssprache in Guinea-Bissau. Es war die Sprache der Opposition, denn das Portugiesische war ja die Kolonialsprache und ist bis heute Amtssprache. Das Kreol ist auch die Sprache, die die verschiedenen Volksgruppen in Guinea-Bissau eint. Super Mama Djombo waren die ersten, die auf Kreol sangen. Das war eine Art Revolution und trug zu ihrer Popularität bei.

Die zwei zentralen Charaktere im Roman sind fiktiv: Den Gitarristen Couto und dessen frühere Geliebte Dulce, die mit der echten, noch aktiven Sängerin Dulce Neves nur den Vornamen teilt, existieren nur im Roman. Die alten Bandmitglieder hingegen tragen allesamt ihre richtigen Namen. Auf die Frage, wie ihnen denn der Roman gefallen hat, sagt Prudhomme:

Sie haben sehr freundliche reagiert, haben auch viel gelacht und sich immer wieder gefragt: Woher weiß er das? Wer hat ihm das denn erzählt? Ich habe viele Gespräche geführt und war dann auch gut informiert. Und vermutlich hat so manche im Roman erwähnte Begebenheit auch ihre Erinnerung wieder aufgefrischt. Großzügig waren sie auch bei den Freiheiten, die ich mir genommen habe. Sie sind ja Künstler und verstehen, dass man sich Freiheiten nehmen muss.

Der 1979 geborene Sylvain Prudhomme, der in Kamerun, Burundi, auf Mauritius und im Niger aufwuchs und heute in Südfrankreich lebt, schlägt in seinem Roman einen sehr behutsamen Ton an. Ganz nah an Couto ist er, dem charmanten Herumtreiber, der im Jahr 2012 an einem einzigen Tag versucht, im Austausch mit anderen den größten Verlust seines Lebens zu verkraften – und mit der aktuellen, politischen Situation in Guinea-Bissau klarzukommen. Letzterer begegnet er wie so viele mit einem gewissen Fatalismus.

Nun könnte eine solche Spurensuche nach der alten Liebe rasch zum Rührstück geraten. Doch dafür ist Prudhomme viel zu sehr an realen Verhältnissen interessiert, ist ein viel zu genauer Beobachter, der seine Geschichte klar und feingliedrig, dazu mit leisem Humor erzählt. Gekonnt schneidet er triste Realität gegen gefühlige Erinnerungen, gewitzte Alltagsdialoge gegen aufkeimende Melancholie. Er versteht es, die Atmosphäre der Stadt, mit ihren Gerüchen und Geräuschen, den Eigenheiten ihrer Bewohner mit poetischer Lässigkeit einzufangen und er schafft es, den Rhythmus und Klang der Musik nuancenreich in Worte zu fassen. Das ist wichtig, spielt sie doch im Leben seiner Protagonisten die zentrale Rolle. Und nicht nur für sie. Während im Stadtzentrum die Soldaten aufmarschieren, strömen die Menschen in Prudhommes fein erzähltem Roman ins Konzert. Sich zu amüsieren, wird in dieser aussichtslosen Situation zu einem trotzigen Akt des Widerstandes.

Sylvain Prudhomme: Ein Lied für Dulce. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Unionsverlag, 223 Seiten, 20 Euro.

(c) Frank Rumpel

(c) Foto:éditions Gallimard

Gesendet auf SWR 2.

Dieser Beitrag wurde unter Kein Krimi veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.