Arne Dahl: Gier

knvmmdb-77.dllBeim G-20-Gipfel in London wird ein Mann chinesischer Herkunft überfahren, ein Stück weiter die Leiche einer Frau gefunden. In Schweden gerät ein Möbelfabrikant in den Verdacht, Kontakte zu einer süditalienischen Mafia zu haben. Einige Spuren führen zudem nach Lettland, nach Tibet, nach Nordkorea, nach New York und Berlin. Und um all das kümmert sich eine geheime operative Polizeieinheit von Europol in Den Haag.

Der schwedische Autor Arne Dahl, der im richtigen Leben Jan Arnald heißt, spannt sein Erzählnetz im ersten, nun auf Deutsch vorliegenden Band seiner neuen Serie also ziemlich weit auf – noch weiter, als er es sonst zu tun pflegt. Und er frönt weiterhin seiner Vorliebe für Elite-Polizeieinheiten. Er schrieb die auf zunächst zehn Bände angelegte, dann um einen Roman erweiterte Reihe um das schwedische A-Team, eine „Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter“. Nun erzählt er im ersten von vier Romanen von der Arbeit einer internationalen Polizeieinheit, die es noch nicht gibt, über die aber häufig diskutiert wird: einer Art europäisches FBI. Denn bisher darf Europol die Polizeiarbeit in den Mitgliedsstaaten nur unterstützen, kann deren Arbeit, wenn es um grenzüberschreitende, organisierte Kriminalität, wie etwa Kinderpornografie, Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel geht, koordinieren, doch haben die Europol-Ermittler wenig Kompetenzen und tragen, wie es eine echte Europol-Ermittlerin einmal sagte, auch keine Pistolen.
Das ist bei Arne Dahl nun anders. Bei ihm gibt es diese Einheit, doch ist sie noch im Aufbau begriffen und deshalb geheim.

In Den Haag, überlegt da die deutsche Polizistin Jutta Beyer, war sie in einer internationalen Gruppe gelandet, deren Auftrag und Grenzen erstaunlich unscharf definiert waren. Oft hatte sie versucht, den operativen Chef der Gruppe – allein diese Bezeichnung in einer nichtoperativen Gruppe – zu einer Erklärung zu bewegen, worum es bei dem Ganzen eigentlich ging. Der Mann war extrem professionell und sympathisch, aber sie hatte den Eindruck, dass er ihr etwas vorenthielt. Ja, der gesamten Gruppe. Deren Mitgliederzahl auf absurde Art ebenfalls diffus war.

In diesem ersten, verwickelten Fall geht es um den Einfluss der kalabrischen N’drangetha, um illegale Giftmüllverklappung und gigantische Finanzspekulationen. Dahls Polizeitruppe ist ein bunt aus den EU-Mitgliedsstaaten zusammen gewürfelter Spezialistenhaufen, bei dessen Schilderung Dahl fast zwangsläufig in die Klischeefalle tappt. Mit dabei ist da etwa die „brüske Rumänin Lavinia Potorac“ oder „der elegante Madrilene Felipe Navarro“.
Zu Beginn ist Dahls neuer Roman etwas zäh und das allmähliche Zusammenklauben von Fällen, die dann am Ende tatsächlich unmittelbar zusammen hängen, wenig glaubhaft. Was die Konstruktion seiner Geschichten anbelangt bleibt sich Dahl treu. Bereits in seinen früheren Romanen verquickte er gerne zwei oder mehr Fälle, die auf den ersten Blick so gar nichts miteinander zu tun hatten. Seine Polizisten sind überzeugt, dass das organisierte Verbrechen längst in alle, auch viele legale Geschäftsbereiche weltweit eingesickert ist und die Polizei sowieso stets nur hinterher ermittelt, erst dann tätig wird, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Unter dieser Prämisse lässt sich sogar die so zufällig wirkende Suche der Ermittler nach Arbeit erklären: Wenn das organisierte Verbrechen überall zu finden ist, lässt sich fast schon an beliebigen Fäden ziehen, um ins selbe Zentrum zu gelangen. Allein: Die Klischees in der Figurenzeichnung finden sich auch im Plot. Im Großen und Ganzen siegt das Gute. Einige Strukturen sind zerschlagen, ein Land gerettet und selbst die chinesische Regierung will Umweltschützer von außen ins Land lassen. So bleibt in dieser durchaus spannend inszenierten Geschichte ein etwas schaler Geschmack, zumal Dahl ja jeweils antritt, über reale gesellschaftliche Probleme zu schreiben und Polizeiarbeit bis in die Details genau zu schildern.

Das gelingt ihm in diesem Fall nur teilweise. Aber man darf gespannt sein. Immerhin ist es ein kühnes Unterfangen, das Dahl mit seiner neuen Serie verfolgt. Zumindest im ersten Band aber scheitert der versierte Autor wohl daran, dass er zu viel hinein gepackt hat.

Arne Dahl: Gier. Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburge. Piper-Verlag, 505 Seiten, 16,99 Euro.

(c) Frank Rumpel

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