Indien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seit 1858 ist der Subkontinent englische Kronkolonie. Von Stabilität aber kann keine Rede sein. Die Briten haben einige Mühe, das Land unter Kontrolle zu halten, zumal in ihren eigenen Kreisen Dekadenz und Korruption blühen. Sie sind nicht eben gut gelitten, weshalb einer wie der gewichtige, vor allem aber unberechenbare Inspector Josaphat Mencius Peabody seinen Landsleuten eher ein Klotz am Bein, als eine Stütze ist. Der 250 Pfund schwere Inspector wird zwar von der Krone bezahlt, hat aber keine Scheu, auch gegen die eigenen Leute zu ermitteln.
Der politisch ganz und gar unkorrekte Peabody kämpft sich im heißen Süden Hindustans schwitzend und fluchend durch die Tage. Er ist aufbrausend und teilt gerne nach allen Seiten aus. Aber er versucht auch ein einigermaßen aufrechtes Leben hin zu bekommen, der Korruption die Stirn zu bieten und zumindest nicht alle moralischen Grundsätze fahren zu lassen. Zynisch, sagt er, sei er aus beruflicher Notwendigkeit. Er spricht Hindustani, mischt sich für Nachforschungen gern als Bettler verkleidet unters Volk und hat unter den Einheimischen ein weit verzweigtes Spitzelnetz aufgebaut. Die eigenen Landsleute sind Peabody längst fremd geworden. „Beglückwünsche dich dazu, dass du nicht an einen englischen Polypen geraten bist“, blafft er einen seiner Informanten an. Er fühlt sich eher zur anderen Seite gehörig, zum, wie es heißt, „Kontinent der Lumpen, Strolche und Bettler“.
Im Trog eines Färbermeister wird der indigoblaue Torso eines Menschen gefunden. Kurz danach stirbt ein englischer Ingenieur. Eine heikle Angelegenheit, zumal Peabody bei seinen unkonventionellen Nachforschungen von höchster Stelle immer wieder ausgebremst wird. Die Bürokraten, bis hinauf zum Gouverneur haben allen Grund zur Sorge, schließlich fielen dem Inspektor bei seinen Ermittlungen im Haus des Ingenieurs schriftliche Beweise für das korrupte System seiner Landsleute in die Hände, ein Schriftstück, wie er weiß, das ihn das Leben kosten kann.
Der 1948 in Stockholm geborene, französische Autor Patrick Boman verschmilzt in seiner Peabody-Reihe, von der bisher zwei Bände auf deutsch vorliegen, den klassischen „whodunnit“ mit dem Hardboild-Roman amerikanischer Prägung, der gesellschaftliche Missstände bloßlegt. Das funktioniert prächtig, zumal der Autor seine Geschichten mit reichlich Lokalkolorit und aberwitzigen Details würzt. Bomans Indien ist prall, bunt und überaus lebendig. Der Autor ist weit herum gekommen in der Welt. Auch Indien kennt er von zahlreichen Reisen – allerdings das Indien der 1980er, das sich seiner Überzeugung nach aber nicht wesentlich von dem um 1900 unterscheidet. „Ich habe einfach Elektrozäune, Telefone, Fahrräder und Kinowerbung aus der Landschaft entfernt“, sagt Boman. „Das ergab ein relativ modernes Land mit Eisenbahn, Dampfschiffen und Telegraf – und darunter den riesigen, echten Kontinent.“ Dem Autor gelingt es, Indien mit allen Sinnen und all seinen harten Konturen einzufangen.
„Unterdessen ging der Inspector zum Krankenhaus, umhüllt von klebriger Dunkelheit und umspielt von Gerüchen nach verwelkten Blumen und Exkrementen, die der heiße Wind herantrug. Er strauchelte in einem Schlammloch und hätte dabei unter Sauggeräuschen beinahe einen Stiefel eingebüßt, als ob finstere Mächte ihn bis ins Innerste des Planeten hinabziehen wollten und der Erdboden Indiens bloß darauf gewartet hätte, sich mit besänftigtem Kollern wieder über ihm zu schließen. Kühe und Kälber lagen quer auf der Straße. Ein räudiger Esel schlief im Stehen. Abfallhaufen schwelten dahin.“
Boman erzählt bildreich vom Leben im Indien zur Jahrhundertwende, vom unterschwelligen Konflikt der Einheimischen mit den Kolonialherren und einem, der versucht, „die allseits herrschende Unordnung ein wenig in Grenzen zu halten“. Der Autor schätzt die brachialen Effekte ebenso wie die gedrechselte Wortakrobatik hindustanischer Begrüßungszeremonien, liebt absurd scheinende Situationen und kostet sie reichlich aus. „Ich muss in meinem Alltag“, sagt Boman, „so viele Regeln befolgen, dass ich beim Schreiben garantiert keine akzeptiere. Ich versuche anständig zu schreiben und nicht zu langweilen.“ Bescheiden ausgedrückt, herzhaft umgesetzt.
Patrick Boman: Peabody geht in die Knie. Aus dem Französischen von Stefan Linster. Unionsverlag, 8,90 Euro.
(c) Frank Rumpel
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